Den Tagtraum zeichnen. Zu den Arbeiten von Sarah Fischer
von Katrin Arrieta, Kunsthistorikerin
Sarah Fischer ist Zeichnerin und Fotografin. Wenn sie Bilder fotografisch aufnimmt, dann bewegt sie sich auf sicherem Terrain. Die Bilder kommen auf sie zu, als eine substantielle Ansprache aus der Außenwelt, die sie für sich erkennt, herausgreift und festhält. Das Empfinden, dass bestimmte Konstellationen, die sie sieht, zu ihr gehören, ist der Filter, nach dem die fotografische Entscheidung sich richtet, und dieses Richtunggebende der Ausgangspunkt für ihre ausgedehnte Arbeit an formalen Lösungen. Viel stärker aber noch bestimmt die ausgedehnte Arbeit an formalen Lösungen ihre Zeichenkunst. Das Zeichnen ist ihr wichtig, aber es gestaltet sich für sie auch schwierig. Was sie zeichnen will, erschaut sie nicht spontan, und sie vermeidet es, Impulse zu Papier zu bringen. Zeichnen ist bei Sarah Fischer ein langsames Geschehen, bei dem die Bilder sich nicht in einem Zug fortschreiben, sondern im Entstehen unterbrochen werden, reflektiert, geordnet und in Teilen auch zurückgenommen. Beim Zeichnen ist sie ganz im Selbstgespräch, einem ehrlichen, kräftezehrenden und zugleich behutsamen. Es dreht sich um innere Bilder, die nicht aufscheinen wollen, um Versuche, ihrer Sprödheit durch strenge motivische Hypothesen beizukommen.
Sicher ist es kein Zufall, dass die Texte des schwedischen Dichters Tomas Tranströmer die Zeichnerin beschäftigen und anregen. Sie hat die schwedische Sprache studiert und Orte in der schwedischen Landschaft gesehen, wo Tranströmers Poesie der Verlassenheit sich auf überwältigende Art bewahrheitet. Hinzu kommt aber auch, dass das dichterische Verknappen aus Einsicht, bei dem es um die Essentialität von Bildern geht, ihr sehr entspricht.
Sarah Fischers zeichnerisches Vorgehen ist mehrstufig. Sie erarbeitet sich Bilder durch Techniken der Montage und einer kontrollierten Spurenerzeugung – etwa, wenn sie Areale eines leeren Blatt Papiers mit Druckfarbe, die sie mit der Rolle aufträgt, schwärzt. Die so geschaffene Ausgangslage gibt ihr Raum zum Deuten und zum Ausgestalten, aber auch zum Filtern und zum Reduzieren. Bei den Blättern zu Gedichten Tranströmers ergänzte sie die aufgewalzte Spur auf einer darübergelegten, transparenten Schicht Papier um filigrane zeichnerische Einlassungen, die diese Spur zum vitalen Körper werden lassen – einem Pflanzen- oder Landschaftskörper, der gelegentlich als dunkler, einsamer und weiträumiger Schauplatz einer angedeuteten Geschichte dient.
Auch bei den Blättern der Serie „Standortverlagerung“ arbeitete Sarah Fischer mit transparentem Papier. Hier erwuchs die zeichnerische Formulierung aus dem freihändigen Nachvollziehen bestimmter Elemente eines Vorentwurfs in Bleistift, die sich dabei mittels Kohlepapier auf den gültigen Grund der Zeichnung übertrugen. Die dabei entstandenen feinen Brüche im Linienverlauf mildern den sachlichen Anschein der ansonsten äußerst klaren Bildergebnisse. Sie sind präzise, aber nicht messerscharf – und eben auch nicht sachlich, sondern einer träumerischen Logik unterworfen. Der Linienfluss fügt sich zu einem Ornament mit eigener Bedeutung, das die dargestellten Alltagsdinge in sich aufnimmt und poetisiert.
Wenn die Linien sich stimmig zur Textur verdichten, kommt ein rhythmisches Element hinzu, in dem sich Emotionen nun auch ungebundener aussprechen, sodass die tagträumerische Atmosphäre dieser sonst so sparsamen und ausgewogenen Kompositionen noch ersichtlicher wird. Durch die fast schattenlose Helle, die in ihnen herrscht, wird, was dinghaft scheint, ins Körperlose überführt und nimmt sich selbst zurück.
Sarah Fischer – zur fotografischen Serie down down memory lane
von Heiko Krause, Künstler
Offenbart sich Erinnerung, wandelt sich, verblasst, vergeht? Fotografien seien deren Ort, wird gesagt, das Vergessen Teil des Erinnerns.
Wohlig leuchtend, nur wenig klar und dennoch beruhigend vertraut, scheinen Sarah Fischers Bildwelten aus dunklem Fond auf. Im warmen Strahl der Doppelprojektionen tanzt über reduzierten, beinahe monochromen Farben und kontrastreichen Konturen flirrender Staub. Diffuse Landschaften der Kindheit, dereinst von Nahestehenden im fotografischen Familienbild festgehalten, sind als Diapositive ein Teil ihres künstlerischen Materials. Im Halblicht der Vorführung durchdringen diese familiären Abbilder des Gestern nun neue Fotografien – die bildnerische Jetztzeit der Künstlerin, ihre reifenden Sichten auf das Gegenwärtige.
Im poetischen Nebeneinander und Zugleich werden Schichtungen und Überlagerungen fotografischer Relikte und Materialien von der Wand zurückgespielt. Sie entstehen und stehen für sich als Raum im Raum. Wanderer, welche diese virtuellen Szenerien scheinbar als Zutat ohne Zutun betreten haben, verweilen dort, durchkreuzen diese Welt, verlassen sie. In für uns nicht messbare Zeiträume gefasst, geraten diese menschlichen Akteure, deren verwischende Konturen, im Gestus zum Symbol, das auch dem vormals Gewesenen stets seine Gegenwart zu entringen vermag.
Photographic series: down down memory lane 2015
by Heiko Krause, artist
Do memories reveal themselves, change, fade away and pass by? That is where photographs have its place, some people say, and that forgetting is part of remembering.
Pleasingly glowing, fuzzy but soothingly familiar anyway; that is how one may describe Sarah Fischer’s pictorial worlds appearing out of the dark background. The dust, shimmering in the warm ray of the dual projections, is tiptoeing over restrained, almost monochrome colours and high-contrast shapes. Once captured by close ones on familiy portraits, diffuse landscapes of childhood become part of the artist‘s material as diapositives. In the half-light of the projection these familiy images of past days are now shining through new photographs, portraying the artist’s present time, her ripening view on the present.
In a poetic coexistence and concurrence layerings and overlayings of photographic relics and materials are reprojected by the wall. They come into existence and exist on their own as a room inside a room. People who apparently entered this virtual scenery rather by accident linger in this
world, cross it and leave it. Captured in spaces of time which are not measurable for us, these human protagonists and their blurring contours turn from gestus to a symbol, a symbol that is able to withdraw its present even from the past.
Zur Reihe Standortverlagerung
von Johanna Sailer, Autorin
Die Kohlezeichnungen von Sarah Fischer haben etwas Erzählerisches. Sie besitzen eine Dynamik. Geräusche und Bewegungen werden auf ihnen sichtbar. Plätschernde, dumpfe, schlürfende Töne. Auf den ersten Blick strahlen sie einen bestechenden Witz aus. Erst auf den zweiten Blick wird die Tragik sichtbar, die Gewalt, die jede Standortverlagerung mit sich bringt.
Nicht nur die Lebewesen auf den Zeichnungen, sondern auch die Künstlerin hinterfragt ihren Standort. Wo ist mein Standpunkt, wenn sich alles um mich herum ständig verändert? Verbindungsstellen werden dort gesucht, wo noch keine gesehen wurden. Die Zeichnungen hinterfragen sich selbst, hinterfragen ihre eigene Zweidimensionalität und ihr Dasein im Allgemeinen. Die Figuren stehen wie Fragezeichen im Bild, in abgegrenzten Quadraten. Tiere in Freiheit verlassen ihr abgestecktes Gebiet, erobern die
zivilisierte Welt; als wollten sie die Menschen, die sie beherrschen, kenntlich machen, dass sie (noch) leben. Doch es ist nur eine scheinbare Freiheit. Der See vermisst sein Ufer, die Pflanze braucht ihre Sonne, der Stecker seine Dose. Vermischungen von Daseinswelten.
Die Zeichnungen von Sarah Fischer sind Studien, angefertigt mit dem kritischen Blick einer Philosophin. Die Künstlerin stellt Fragen, stellt aus, erzählt Geschichten, die über das Papier hinausragen: Metaerzählungen.
So, wie diese Zeichnungen sind, wünsche ich mir Geschichten: direkt und tiefgründig, humorvoll und kritisch – geheimnisvoll.